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Schwangerschaftsabbrüche

Der Schwangerschaftsabbruch ist ein Thema, das zwar auf den ersten Blick stark diskutiert wird, jedoch verbleibt es eigentlich im Verborgenen. Gesellschaftliche Tabus und Stigmatisierung führen dazu, dass häufig grundlegende Informationen über Schwangerschaftsabbrüche fehlen. Die meisten Menschen wissen zwar, dass es Schwangerschaftsabbruch gibt und dass dieser in Deutschland durchgeführt wird, darüber hinausgehende Informationen, die eher nebenher geliefert werden, z.B. durch Gespräche im Freund:innenkreis, sind jedoch eher selten. Daher kommt es häufig erst in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft dazu, dass Betroffene erfahren: Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland strafbar und nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Um ihn zu bekommen, müssen gesetzliche Regelungen und Fristen eingehalten werden – tut man das nicht, ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland nicht möglich. Zumindest ist er dann nicht legal und medizinisch sicher. 

Warum ist hier von ,Schwangerschaftsabbruch‘ und nicht von ,Abtreibung‘ die Rede?

Neben dem Begriff ,Schwangerschaftsabbruch‘ existiert für das vorzeitige Beenden einer Schwangerschaft auch der Begriff ‚Abtreibung‘. Diese Bezeichnung haben sich sowohl Abtreibungsgegner*innen als auch Befürworter*innen angeeignet und verwenden ihn mit unterschiedlichen Zielen als Kampfbegriff („Abtreibung ist Mord“ vs. „Abtreibung legalisieren“). Die Worte ,Abtreibung‘ und ,abtreiben‘ sind aber auch in der Alltagssprache und im Internet weit verbreitet. Da aber der Terminus Schwangerschaftsabbruch der medizinische Fachbegriff für den Eingriff ist und in diesem spezifischen Themenfeld als besonders neutral gilt, wird er hier bevorzugt verwendet.

Warum entscheiden sich Menschen für einen Schwangerschaftsabbruch? “Kann ich abtreiben?”

Es existieren sehr unterschiedliche Gründe dafür, einen Schwangerschaftsabbruch zu erwägen. Die Entscheidungsfindung für das Austragen oder das Abbrechen einer Schwangerschaft kann durch Lebensphasen und Lebensumstände der schwangeren Person oder durch die generellen Vorstellungen hinsichtlich der Familienplanung bedingt werden. Faktoren wie finanzielle Unsicherheit, fehlende oder schwierige Partnerschaften, das Alter der Schwangeren oder auch gesundheitliche Aspekte können dazu beitragen, dass sich Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Darüber hinaus gibt es Menschen, die schon Kinder haben und deren Familienplanung bereits abgeschlossen ist oder auch jene, die einfach keine Kinder haben wollen. Die Motive sind höchst individuell und gehen im Grunde nur die schwangere Person etwas an. Eine Schwangere hat das Recht, die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch selbstbestimmt zu fällen und Zugang zu einer entsprechenden medizinischen Versorgung zu bekommen. Neben der verpflichtenden Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch (siehe weiter unten) existiert in Deutschland ein umfassendes psychosoziales Versorgungsangebot staatlich anerkannter Beratungsstellen, die Ratsuchenden u.a. bei Fragen zur Familienplanung und zum Schwangerschaftsabbruch zur Seite stehen. Das bedeutet, dass es kostenfrei Unterstützung für all diejenigen gibt, die im Entscheidungsprozess für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch begleitet werden möchten. Es ist wichtig, auch schon junge Menschen über diese unterstützenden Stellen zu informieren, zumal staatlich anerkannte Schwangerschaftsberatungsstellen nicht nur bei Schwangerschaftsabbrüchen beraten, sondern auch bei weiteren sexualitätsbezogenen Anliegen wie z.B. bei Fragen zur Verhütung.

Wann darf man einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen? “Wie geht eine Abtreibung”?

In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch verankert. Es ist die einzige Gesundheitsleistung, die unweit der Paragraphen steht, die Mord und Totschlag regeln.
Laut §218 des Strafgesetzbuches ist der Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, jedoch durch §218a in den ersten drei Monaten straffrei, wenn mindestens drei Tage vor dem Eingriff eine verpflichtende Beratung stattgefunden hat. Bei diesem Termin wird ein Beratungsschein ausgestellt, welcher für den Eingriff als solchen unabdingbar ist. Außerdem ist ein Schwangerschaftsabbruch auf Grundlage einer medizinischen oder einer kriminologischen Indikation möglich. Medizinische Indikationen können zum Beispiel vorliegen, wenn das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren gefährdet sind. Eine kriminologische Indikation besteht, wenn eine Schwangerschaft durch einen sexuellen Übergriff entstanden ist. Ein Abbruch mit diesen Indikationen ist weder rechtswidrig noch strafbar.

Was ist ein Schwangerschaftsabbruch und wie wird er durchgeführt?

Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein medizinischer Eingriff, bei dem eine Schwangerschaft beendet wird. Es existieren zwei unterschiedliche Methoden – die medikamentöse (bis zur 9. Schwangerschaftswoche) und die chirurgische (bis zur 12. Schwangerschaftswoche).

Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch   
Beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch werden in der Regel zwei Medikamente in Form von Tabletten (Mifepriston und Misoprostol) eingesetzt. Diese Methode kann bis zur 9. Schwangerschaftswoche angewendet werden und erfolgt unter ärztlicher Begleitung. Es sind zwei oder drei Arztbesuche innerhalb von ungefähr 14 Tagen notwendig. Die Umsetzung des medikamentösen Abbruchs wird unterschiedlich gehandhabt; so geben einige Ärzt*innen das zweite Medikament den Patientinnen mit nach Hause bzw. gibt es bereits Modellprojekte, bei denen der medikamentöse Abbruch digital durch Fachkräfte begleitet wird.

Chirurgischer Schwangerschaftsabbruch (Absaugung oder Ausschabung):     
Der chirurgische Schwangerschaftsabbruch ist ein ambulanter Eingriff, der in der Regel in einer gynäkologischen Praxis oder einem Krankenhaus durchgeführt wird. Dabei wird die Gebärmutter am häufigsten durch eine Absaugung entleert. Diese Methode gilt als die schonendste. Deutlich seltener werden auch noch Ausschabungen durchgeführt. Sie werden heutzutage allerdings nicht mehr empfohlen. Der chirurgische Schwangerschaftsabbruch kann bis zur 12. Schwangerschaftswoche erfolgen und erfordert eine örtliche Betäubung oder eine Vollnarkose.

Obwohl der Schwangerschaftsabbruch eine Gesundheitsleistung darstellt, wird er in gesellschaftlichen Debatten nicht immer als eine solche behandelt, denn Aussagen zu Schwangerschaftsabbrüchen werden häufig von moralischen, religiösen oder ethischen Überlegungen beeinflusst.

Die gängigsten Positionen zu Schwangerschaftsabbrüchen:

Pro Choice: Die pro Choice-Haltung betont das Recht der Frau (und natürlich auch von allen anderen Geschlechtern), selbst über ihren Körper und ihre reproduktive Selbstbestimmung und Gesundheit zu entscheiden. Pro Choice bedeutet aber nicht „pro Schwangerschaftsabbruch“, sondern „pro Entscheidungsfreiheit“. Schwangere sollen sich aussuchen dürfen, eine Schwangerschaft auszutragen oder eben medizinisch sicher und legal beenden zu können.

Pro Life: Die pro Life-Haltung lehnt Schwangerschaftsabbrüche oft aus ethischen, moralischen und/oder antifeministischen Gründen ab. Befürworter:innen dieser Position setzen sich für restriktive Regelungen bis hin zu Verboten von Schwangerschaftsabbrüchen ein und betonen den „Schutz des ungeborenen Lebens“. Daher werden sie der Bewegung des so genannten Lebensschutzes zugeordnet. Das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person ist im pro Life-Kontext nachrangig.

Um eine fundierte Meinung zum Thema Schwangerschaftsabbruch zu entwickeln und vor allem auch, um im Falle einer ungewollten Schwangerschaft handlungsfähig zu sein, bedarf es sachlich korrekter und neutraler Informationen zu dem Thema. Für deren Vermittlung eignet sich die Sexuelle Bildung (in der Schule) ganz besonders, da in einem angeleiteten und geschützten Rahmen nicht nur Informationen vermittelt werden können, sondern Raum für offene Diskussionen und konstruktive Dialoge eröffnet werden kann. Allerdings berichten rund zwei Drittel der Jugendlichen, die sich im Rahmen einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geäußert haben, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch im Unterricht nicht besprochen wurde. Dabei kann man diesen Gegenstand heutzutage in pädagogischen Settings leichter denn je an die Lebenswelt junger Menschen koppeln, da davon ausgegangen werden kann, dass insbesondere Jugendliche schon die ein oder andere Begegnung mit dem Thema gemacht haben: In den sozialen Medien.

Schwangerschaftsabbrüche in Social Media

Sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung und Gesundheit im Allgemeinen und der Schwangerschaftsabbruch im Speziellen sind Themen, die auf allen gängigen Plattformen wie z.B. YouTube, Instagram und TikTok regelmäßig diskutiert werden. Es gibt unterschiedliche Content Creator, die hinter den Beiträgen stecken und die Qualität der Social Media Inhalte ist natürlich unterschiedlich. Die Sorge davor, dass Social Media Fake News verbreitet, insbesondere  Mädchen und Frauen ihre Selbstbestimmung im Kontext von Schwangerschaftsabbrüchen abspricht und von der Forschung längst widerlegte Mythen reproduziert, ist natürlich legitim und zweifelsohne existieren diese Beiträge in Social Media. Allerdings deuten erste Forschungsergebnisse (VERLINKUNG zu Döring/Kubitza) darauf hin, dass in Social Media die meistgesehenen Videos eine klare pro Choice-Position bzw. eine neutrale Haltung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen transportieren und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in den Mittelpunkt stellen. Das hat u.a. damit zu tun, dass (plattformabhängig) ein großer Teil der oft geklickten Beiträge von Journalist:innen gestaltet wurde, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse beziehen, welche zumeist mit Aussagen so genannter Lebensschützer:innen nicht vereinbar sind.    
Eine andere zentrale Content Creator-Gruppe in Social Media sind (junge) Menschen als Privatpersonen, die sich zu dem Thema Schwangerschaftsabbruch äußern und auch eigene Erfahrungen teilen. Was vor rund 50 Jahren mit der Stern Aktion „Wir haben abgetrieben!“ eine revolutionäre Schlagzeile war (374 prominente und nicht prominente Frauen gaben 1971 bekannt, einen Schwangerschaftsabbruch gehabt zu haben), wird heutzutage mit dem eigenen Handy von Betroffenen in Social Media mit einer breiten Öffentlichkeit geteilt. Die Personen, die ihre Erfahrungen in den Sozialen Medien teilen, sind aber nicht minder mutig als die Frauen vor rund 50 Jahren, denn die Kommentare unter den jeweiligen Beiträgen zeigen, wie stark das Thema Schwangerschaftsabbruch auch heute noch polarisiert. Dennoch: Die überwiegende kommentierende Mehrheit vertritt eine pro Choice-Haltung, nicht selten bestehen die Kommentare aus dem Satz „Your body, your choice!“. Wenn man sich unter einigen Social Media Beiträgen, in denen Betroffene ihre Abbrucherfahrungen schildern, die Kommentare anschaut, so stellt man fest, dass diese Beiträge anscheinend gezielt von Personen gesucht werden, die selbst in einer ähnlichen Lage waren oder gerade sind. Social Media scheint für manche Menschen ein zentraler Ort des Erfahrungsaustauschs zu sein – vielleicht gerade in Bezug auf ein Thema, das sonst im sozialen Umfeld eher selten offen kommuniziert wird.

Pädagogik – Social Media – Schwangerschaftsabbruch

Der Vorteil an Social Media Inhalten ist, dass sie sehr leicht in die pädagogische Praxis integriert werden können, da sie für die meisten jungen Menschen durch den unmittelbaren Lebensweltbezug einen hohen Aufforderungscharakter haben.    
Für pädagogische Zwecke empfiehlt es sich, Contents (Videos, Reels, Textbeiträge) unterschiedlicher Anbieter (z.B. Journalist:innen, Influencer, Privatpersonen, medizinischer Fachkräfte) zum Thema Schwangerschaftsabbruch zu zeigen und zu besprechen. Dabei ist es wichtig, die Beiträge mit unterschiedlichen Perspektiven auf Schwangerschaftsabbrüche auszuwählen, da – neben dem Anliegen, sachliche Informationen durch die gezeigten Inhalte zu vermitteln – Haltungen und ihre Ursprünge diskutiert werden können. Ein wichtiges Ziel ist in diesem Zusammenhang die Förderung der digital literacy (digitale Kompetenz). Gerade im Hinblick auf ein gesellschaftlich, politisch und religiös umkämpftes Thema wie den Schwangerschaftsabbruch kann es insbesondere für junge Menschen herausfordernd sein, Social Media Beiträge richtig einzuordnen: Wer hat den Beitrag erstellt und welche Ziele verfolgt die Person damit? Worauf basieren die Aussagen, welche Quellen liegen zugrunde? Diese Fragen sind nicht nur in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch von Bedeutung, sondern lassen sich auf andere Bereiche übertragen und sind somit unabdingbar, um sich im Dschungel der online zugänglichen Informationen zurechtzufinden und sie entsprechend einzuordnen.               
Social Media zu benutzen, um über Schwangerschaftsabbrüche und über sexuelle und reproduktive Rechte und Gesundheit ins Gespräch zu kommen, eignet sich auch dazu, eigene Begegnungen damit im digitalen Raum aufzugreifen und reale Erfahrungen von jungen Menschen in Social Media in den Mittelpunkt zu stellen. Die meisten von ihnen sind Expert:innen für Social Media –  pädagogische Fachkräfte können von ihrer Orientierung in den unterschiedlichen Plattformen profitieren, an ihrer Erfahrungswelt teilhaben und anhand des Themas Schwangerschaftsabbruch die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung fördern.

 

Zur Autorin:

Eva Kubitza war über 10 Jahre Lehrkraft an einer Berliner Grundschule und arbeitete außerdem in der Lehrkräftefortbildung im Bereich der Sexuellen Bildung. Mittlerweile ist sie als Sexualwissenschaftlerin an unterschiedlichen Hochschulen tätig und promoviert aktuell zu digitalen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche.

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