Zuversichtlich und selbstbewusst Sexuelle Bildung unterrichten!
Fruchtbarkeit ist relevant
Kinderkriegen gehört für die große Mehrzahl der Menschen zum gelungenen Lebensentwurf dazu. Die weitreichende Bedeutung wird aber meist erst dann bewusst, wenn es nicht klappt. Das ist für das Individuum konsequenzenreich und weitreichend bedeutsam u.a. für das Selbstbild, für die geschlechtliche Rolle und für die Beziehungen. Dabei spielen Hilflosigkeit, Versagensgefühle, Scham, Tabuisierung und Handlungslähmung eine Rolle, denn wir sind im Schnitt nicht gut auf diese Situation vorbereitet. Welchen Beitrag kann Sexuelle Bildung dahingehend leisten?
Erwachsene bringen wichtige Weitsicht mit!
Fragen Jugendliche nach Fertilität und Fruchtbarkeit? Eher nicht. Überwiegend wird nach Pornokonsum, Pornosucht, Online-Dating, Social-Media-Nutzung und Sexpraktiken gefragt. Aber: Erwachsene dürfen und müssen sogar Themen einführen, von denen die Jugendlichen noch nicht wissen, dass sie über die Lebensspanne relevant werden – wir haben den Überblick und tragen die Verantwortung für eine ganzheitliche Sexuelle Bildung.
Am einfachsten gelingt das Einführen von nicht erfragten Themen, indem selbst fragend formuliert wird: “Wenn ich überlege, ich hätte gerne früher gewusst, wie …”. Alternativ kann man über Dritte sprechen. Am konkreten Fallbeispiel wird die Bedeutung greifbar, und Schülerinnen und Schülern fallen dann zusätzlich auch eigene Beispiele aus dem sozialen Umfeld ein. Derlei einführende rhetorische Fragen müssen dann nicht im Plenum beantwortet werden, sie dienen stattdessen dazu, die Problemlage anschaulich zu machen, und Sie können diese dann selbst beantworten.
Bedingungen für das Gelingen Sexueller Bildung
Viele Lehrkräfte wünschen sich heute, sie selbst wären besser auf Sexualität und Beziehung vorbereitet worden und sind motiviert es gut zu machen. Gleichzeitig wird Sexuelle Bildung in der Praxis oftmals als herausfordernd erlebt. Es fehlt an Aus- und Weiterbildung, an Material, oder aber die Lebensrealitäten der Jugendlichen wirken befremdlich. Dahingehend hilft es, sich mit den Themen umfassend selbst auseinanderzusetzen, die eigene Haltung zu reflektieren, sowie eigene Erfahrungen aufzuarbeiten. Außerdem ist das Vertrauen zwischen Schülerinnen und Schülern und der Lehrperson ausschlaggebend. Dahingehend zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler den Personen Glauben schenken, denen sie eine eigene sexuelle Potenz zutrauen und die es schaffen, Vertrauen über Nähe aufzubauen. Es darf daher auch mal persönlich zugehen, wenn Sie das mögen, ohne Ihre Resilienz zu riskieren. Alternativ können Sie ungeniert, zuversichtlich und fröhlich über Dritte und Fallbeispiele sprechen. Zudem ist es wichtig, dass wir auf dem neuesten Stand sind, so geht es beispielsweise heute nicht mehr darum, Jugendliche zu liberalisieren, sondern Kontakt zum eigenen Körper und eigenen Werten zu fokussieren und spüren zu lernen, was man möchte, in einem Kontext, in dem alles geht.
Dilemmata müssen Sie dabei nicht lösen, sondern dürfen diese kompetent, ruhig und fragend in die Mitte stellen. Wieso ist es cool, lange jung, ungebunden und kinderlos zu sein? Wo gilt das in der Gesellschaft (auch geografisch)? Wieso ist es gleichermaßen bedrohlich, weil Einsamkeit um sich greift, viele sich funktionierende Beziehungen wünschen und es sich schickt, auch in puncto Reproduktion Potenz zu beweisen? Wie können wir mit derlei Ambivalenzen umgehen?
Solche Fragen können ergebnisoffen diskutiert werden. Wichtig ist zu wissen und zu berücksichtigen, dass Präkonzepte, also Voreinstellungen von Jugendlichen, nicht aus sich selbst heraus überwunden werden können. In Gruppendiskussionen verfestigen sich soziale Rollen. Es bedarf folglich akzeptierender und behutsamer Korrektur und Denkangebotserweiterung durch die Erwachsenen.
Ihre Haltung: Wertebasiert statt Technikorientiert
Wir wollen nicht sexualisieren. Und das tun wir auch nicht, wenn Sie wertebasierte Sexuelle Bildung anstreben. Jugendlichen fehlt es nicht an Technik und Einblick in Möglichkeiten, sie konsumieren frühzeitig Pornografie und provozieren auch mal mit persönlichen Fragen oder Kraftausdrücken. Dabei empfiehlt sich über die Provokation hinwegzusehen, nicht zu dramatisieren oder zu sanktionieren und stattdessen zu fokussieren, welcher Bedarf und welche grundlegende Problemstellung zugrunde liege. Hinter (fast) jeder technisch-provokanten Frage steht ein Wertediskurs, auf den rekurriert werden kann. Es geht meist um soziale Zuschreibung, um Bedeutung, eigene Bedürfnisse, danach erkannt zu werden, Akzeptanz und Beziehung zu erleben, sowie missverständliche Ambivalenzen zu überwinden (siehe Beispiele oben); Es geht um den Kontakt zum Selbst, und um Werte: In welcher Welt will ich leben und wie trage ich dazu bei? Was bedeutet das für mich und meine direkten Aushandlungen?
Sexuelle Bildung: Ein interessengeleitetes Spannungsfeld
Sexuelle Bildung ist politisch-normativ aufgeladen. Das Spannungsfeld streckt sich von Konservatismus, der Abstinenzlehre, oder dem Wunsch Sexuelle Bildung ins heim zurückzuverlagern, bis zu neo-emanzipatorischer Aufklärung, bei der es nicht sexpositiv, divers, und bunt genug zugehen kann. Dazwischen verortet sich liberal-gemäßigte und viele weitere Haltungen. In diesem Spektrum, verorten auch Sie sich– und das ist in Ordnung, jeweils legitim und perspektivisch i.d.R. gut begründet.
Eine absolute Stärke einer paradigmen-übergreifenden, werte- und emotionenbasierten Sexuellen Bildung ist es, wenn sich die Lehrkraft bewusst ist, wo sie steht und die jeweils anderen Haltungen verstehen und respektieren kann. So umgehen Sie einerseits vorschnelle Provokation, andererseits die Herausforderung, es moralisch endgültig richtig machen und Dilemmata auflösen zu wollen oder sich ständig politisch riskiert zu fühlen. Aber auch Eltern erreicht man mit einer informierten und akzeptierenden Haltung über Milieus, Kulturen und politische Einstellung hinweg. Dies gelingt, indem man nach vorne stellt, dass es um Werte, Sicherheit, Gesundheit, Kompetenz geht, und zwar Paradigmen übergreifend. Kommunikativ lohnt es sich, explizit zu machen, dass Sie die gängigen Sorgen kennen und berücksichtigen, dass Sie weder sexualisieren noch überfordern wollen und stattdessen Werte und Kompetenz zentral stellen. Zudem wird es Ihnen ein einfaches Paradigmen-übergreifend zu lehren – Sie können dann gelassen, selbstbewusst und zuversichtlich ihre Position als legitim neben anderen stehend vermitteln, ohne auszuschließen und zu diskriminieren – sie werden zum spürbaren, positionierten Begleiter/ Begleiterin. Das ist gut für soziale Dynamiken, Elternarbeit, die Vermittlungssituation und Ihre Resilienz.
Kompetente Jugendliche
Unser Zielhorizont ist, ein soziales Bewusstsein zu erweitern und individuelle Handlungs- und Beziehungskompetenz zu erhöhen. Dazu zählen Kenntnisse zur sozialen und individuellen Bedeutung, zur Biologie, zu Auswirkungen und Chancen in Bezug auf Lebensstil und Entscheidungen sowie dem Verhältnis zum eigenen Körper sowie Kenntnisse zu institutionalisierten Wegen und Anlaufstellen und medizinische Möglichkeiten.
Umfassende Sexuelle Bildung hat das entscheidende Potenzial, etwas für den Einzelnen und für das Kollektiv positiv zu verändern. Dann wächst das Bewusstsein, dass es normal ist, dass nicht jeder und jede ganz selbstverständlich Kinder kriegen kann. Dann wüssten wir, dass es normal ist, dass es bedeutsam ist, für uns, den Partner, die Partnerin und die Beziehung. Dann hätten Jugendliche schonmal gehört, welche Lösungsstrategien es geben kann, von Ernährung bis Anlaufstelle und Therapie. Dann entwickeln wir kollektive und individuelle Handlungskompetenz.